Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr – vormittags „Tradition“
15. Januar 202527. Januar 2025
Christoph Traub Oberbürgermeister
Der Messerangriff von Aschaffenburg macht mich traurig, er bewegt mich und stimmt mich gleichzeitig wütend.
Traurig, weil ich an das Leid der Menschen denke, die den Tod eines lieben und nahestehenden Menschen beklagen müssen. Ein Kind, das Schutz braucht und die Möglichkeiten unserer Welt noch gar nicht kannte. Ein Erwachsener, der sich selbst zum Schutz für andere machte und nicht die Möglichkeit gewählt hat, dem Getötet werden zu entkommen. Traurig auch, wenn ich an Verletzte und Opfer denke und an eben jene Menschen, die an dem Leid lange tragen. Auch dann noch, wenn die politischen Diskussionen längst verstummt sind.
Der Angriff bewegt mich, weil sich diese Tat für mich einreiht in die Geschehnisse von Mannheim, Solingen und Magdeburg. Die Reihe ergibt sich aus meiner Erinnerung an Angriffe, die ähnlich verlaufen sind: Ein Täter, der jeweils aus dem Ausland stammt, den Behörden bekannt, Messer oder Kfz als Tatwaffe – und unermessliches Leid, das angerichtet wird. Taten, die sich augenscheinlich gleichen und doch ganz unterschiedlich sind. Sie unterscheiden sich in Motiv und Auslöser – nicht im Leid. Ein islamistisches Attentat geht einem Angriff auf den deutschen Staat voraus und wird gefolgt von einem Auslöser in einer möglichen psychischen Erkrankung. Es bewegt mich auch deshalb, weil Städte, Menschen und Gemeinschaften betroffen sind, die Filderstadt gleichen und Fragen schwer zu beantworten sind.
Wütend, weil mordende Angriffe durch nichts zu rechtfertigen sind. Wütend, weil wir das eigentlich alle wissen und dennoch nicht verhindern können. Gleichermaßen wütend, weil politisch Verantwortliche Reaktionen formulieren, aber keine Lösungen anbieten, sie meines Erachtens jedenfalls nicht differenziert genug ausformulieren und damit nicht zu Ende denken.
Muss es denn immer gleich eine Wende sein, die verspricht, es könne mit einem Reflex alles anders werden. Für einen einfachen Reflex sind die Konstellationen viel zu komplex. Statt einer Wende in der Migrationspolitik, die auch das Gute und Benötigte über Bord wirft, würde das Einhalten bestehender Zusagen meiner Ansicht nach ausreichen.
Was ich damit meine?
Jedenfalls seit dem Jahr 2017 vernehme ich von allen damals im Bundestag vertretenen Parteien, dass man sich der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Zuwanderungs- bzw. Einwanderungsland ernsthaft annehmen will. Das geschieht aber nicht. Man verharrt überlang in einem „Wir-Schaffen-Das-Elan“ in einem Migrationsbegriff, der heute ausschließlich mit Flucht und Vertreibung und Illegalität in Verbindung gebracht wird.
Ich stehe dafür, sich davon zu lösen und zu einer für die Bevölkerung nachvollziehbaren Dreigliedrigkeit zu kommen. Von „nur“ Migration zu sprechen ist zu verkürzt. Deshalb sind mir die drei Begriffe Zuwanderung, Asyl und (keine) Bleibemöglichkeit wichtig. Beschreiben tue ich sie in umgekehrter Reihenfolge, um im aktuellen Kontext nicht missverstanden zu werden.
Deshalb zunächst drittens: Keine Bleibemöglichkeit
Die Konsequenz aus Zuwanderung und Asyl ist, dass es eben auch den Ausschlussfall gibt, also keine Zuwanderung möglich und kein Asylgrund gegeben ist. Das muss konsequenter und schneller als heute ausgesprochen und vollzogen werden. Aber eben in diesem Dreiklang und nicht in einer pauschalen „Alles-in-einen-Topf“-Mentalität. Es geht nicht um die Einteilung in jene von hier und die anderen von dort. Das ist längst überholt. Es geht darum, wer hier in der Achtung und im Einklang mit unseren rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien lebt oder wer sie andererseits bekämpft und damit eine Gefahr für unseren Rechtsstaat ist. Da gehören im Übrigen bspw. sogenannte „Reichsbürger“ auch dazu, das verkenne ich nicht. Staatsrechtlich und ausländerrechtlich hat das aber eine andere Konsequenz. Ich erwähne sie trotzdem, weil es meinen Gedankengang mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit aufzeigt.
Ich erlebe die ganz überwiegende Mehrheit von Zugewanderten so, dass sie unser Grundgesetz als hohen Wert achtet und schätzt. Sie selbst fühlen sich und sind von Taten, wie den erwähnten, bedroht. Ihnen gewähren wir berechtigt Schutz, Aufenthalt und ein Bleiberecht.
Umgekehrt erwächst daraus das Recht, den Schutzanspruch derer infrage zu stellen, die unser rechtsstaatliches System – das ja auch ihren Schutz gewährleistet – angreifen. Damit bleibt es konkret und einzelfallbezogen, auf keine Gruppe oder Zugehörigkeit gerichtet. Dafür braucht es keine Wende und kein volles Maß, sondern endlich die Anwendung bestehender rechtsstaatlicher Prinzipien.
Es ist doch geradezu paradox, die Vorzüge eines Systems zu genießen, das man gleichzeitig bekämpft.
Gleichzeitig bleibt bestehen, dass Migration und Integration keine einseitigen Prozesse sind, sondern wechselseitige Verantwortlichkeiten auslösen. Es ist nicht nur eine Einladung, sondern überwiegende Realität, dass Zugewanderte aktive und mitgestaltende Mitglieder der Gesellschaft sind, sie nehmen teil, bringen sich ein, tragen Verantwortung. Diese Rolle will ich hervorheben und der von schlicht Hilfeempfangenden entgegenstellen.
Dort, wo sich diese Haltung des Bleibens durchsetzt und erkannt wird, gelingt eine gemeinsame Entwicklung unserer Gesellschaft auf gleicher Wertebasis. Weil dann die Angst weicht, bei allen.
Deshalb braucht es eine zeitlich frühere Festlegung der „Bleibewahrscheinlichkeit“. Das war uns Kommunen schon 2017 als Voraussetzung für eine Zuweisung zugesagt. Eingehalten wurde es nicht. Auch diese Erfahrung führt mich zu diesen Schlussfolgerungen.
Es braucht keine Wende, es braucht die normative Kraft des werteorientierten Rechtsstaates.
Dann ein Zweites: Asyl
Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben aus ihrer historischen Verantwortung ein einzigartiges Asylrecht ausformuliert, das den Schutz von Verfolgten und Bedrohten in den Mittelpunkt stellt. Diesen historischen Bezug müssen wir uns zum Verstehen vor Augen halten und nicht als Last. Was uns die Grundgesetzredakteure nicht abgenommen haben und auch nicht konnten, ist, diesen Schutzzweck auszugestalten. Da braucht es mehr als die grobkörnige Definition von sicheren Herkunftsländern. Das braucht die Mühe und Aufmerksamkeit, sich des Schutzes des jeweils Einzelnen gewärtig zu machen. Nur so gelingt es auch, bei uns Schutzsuchende nicht erneut vor Bedrohungen schützen zu müssen. Schutz zu suchen, darf nicht ausgenutzt werden, was mich zum Dritten führt.
Und untypisch zuletzt ein Erstes: Zuwanderung
Unbestritten brauchen wir in Deutschland die Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland. Wenn ich das so formuliere, bin ich weit davon entfernt, das Menschliche zu verkennen und Menschen zum Speditionsgut oder einer wirtschaftlichen Größe abzuwerten. Beileibe nicht. Ich formuliere damit den Hinweis, dass wir schlicht darauf angewiesen sind, um den Effekten des demografischen Wandels zu begegnen, den Anforderungen des Arbeitsmarktes sowie des Fachkräftemangels gerecht zu werden und bestenfalls unser sehr kompliziertes Rentensystem über die Zeit zu retten. Damit ergibt sich die Notwendigkeit aus vielen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens, stellt also den Menschen wieder in den Mittelpunkt.
Am Ende dieser drei Punkte habe ich noch kein Wort zu Terrorismus und menschenverachtenden Angriffen geschrieben. Dies ist für mich ein gesondert anzugehender Themenkomplex. Zuwanderung und Asyl stehen nicht zwingend in Zusammenhang mit Terrorismus und Angriffen.
Vielmehr ist es so, dass Terrorismus Flucht auslöst und nicht zuletzt der Angriff von Aschaffenburg zeigt, dass Migranten zu Angreifern werden können. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es aber nicht. Nein, das soll uns nicht akzeptieren lassen, muss uns aber zu einer Terrorismus- und Präventionsstrategie führen. Gefährder sind eben nicht nur Menschen ohne deutschen Pass und Jugendliche sind zunehmend gefährdet. Migration endet nicht mit der rechtmäßigen Einreise und Integration endet nicht mit dem Erlangen eines Bleibestatus. Integration muss gewünscht sein und mehr gefördert werden.
Und wir müssen die Traumata von Menschen mit Terrorismuserfahrung in ihren Herkunftsländern ernster nehmen und früher erkennen. Umgekehrt müssen wir auch einräumen, ob und welche Kapazitäten für diesen gesundheitlich-medizinischen Aspekt benötigt werden und wo die Leistungs- und Erfüllungsgrenzen liegen. Auch hierfür braucht es keine Wende, sondern Aufmerksamkeit von Bund und Land, die in der Gesundheitspolitik Verantwortung tragen.
Wenn das die klare Haltung ist, eröffnet dies auch den Weg, für Ausschluss- und Ausreisekriterien an all diejenigen, die diese ignorieren. Dazu braucht es die erwähnte Strategie, Aufklärung und einen wehrhaften Rechtsstaat – keine plumpen Parolen.
In all dem löse ich das Leid in Aschaffenburg und den anderen Orten nicht auf. Aber ich suche nach Konsequenzen in der Traurigkeit, für mich und auf meiner Verantwortungsebene, gerichtet an die Handlungsebene.
Christoph Traub Oberbürgermeister
Foto: Bugala